Mittwoch, 30. September 2015

Willkommen!

Vollblüter faszinieren. Durch ihre Schnelligkeit, ihre Eleganz und ihre temperamentvolle Art sind sie vor allem auf der Rennbahn zu bestaunen. Ihre Vielseitigkeit prädestiniert sie aber nicht nur für schnelles Galoppieren, sie sind sowohl als Sport- wie auch Freizeitpartner gleichermassen geeignet. Schliesslich ist die Rennkarriere meist früh wieder vorbei und es gilt, eine neue Aufgabe zu finden, sei dies z.B. in der Dressur, im Springen, im Distanzsport oder beim Wanderreiten etc. Seit ein paar Hundert Jahren auf Leistung gezüchtet, benötigen Vollblüter auch nach Ihrer Rennkarriere Beschäftigung, die sie körperlich wie geistig auslastet.
Wer glaubt, sich mit dem Kauf eines ehemaligen Rennpferdes ein fertiges Reitpferd zu kaufen, wird schnell enttäuscht und steht vor einem Haufen Probleme. Nicht zuletzt diesem Umstand verdanken diese Pferde ihren eher schlechten Ruf. Dabei sind Vollblüter grundsätzlich nervenstarke und klare Pferde und ihr Temperament lässt sich wunderbar für die Arbeit einsetzen. Dies bedingt aber, die ehemaligen Rennpferde nochmals von Grund auf neu Auszubilden. Und um diese Ausbildung soll es in diesem Blog gehen. Genauer gesagt die Ausbildung von ehemaligen Rennpferden zu zuverlässigen, ausgeglichenen Freizeit- oder Sportpartnern. Also um die solide Ausbildung sowohl in der Dressur wie auch im Gelände. In der Dressur beschränkt sich das Beschriebene auf die Grundausbildung mit Bezug auf die Rasse und deren Eigenarten. Für weiterführende Lektionen gibt es grössere Lehrer, denn ab diesem Punkt unterscheidet sie nichts mehr von anderen Pferden. Ebenso verhält es sich mit der Bodenarbeit, die auf grundlegende Lektionen der Führbarkeit, des Longierens und der Arbeit an der Hand beschränkt wird. Daneben soll es hier Wissenswertes rund um die Rasse, Geschichte der Reiterei und den Pferderennsport geben.
Und zu guter Letzt soll gesagt sein, dass auch auf diesen Seiten das Rad nicht neu erfunden werden soll. Das ist nämlich gar nicht nötig, gibt es doch eine Vielzahl an ausgereiften Ausbildungsmethoden, die bestens als Werkzeug dienen. Es ist vielmehr eine Sammlung der verschiedensten Theorien und Übungen, welche abgestimmt wurden, um diesen Pferden eine ihrem Wesen gerechte Ausbildung zukommen zu lassen.

Viel Spass beim Lesen!

Fragen, Anregungen und Hinweise sind herzlich Willkommen: vollblut.ausbildung@gmail.com


Hinweis zum Inhalt: Die hier gemachten Aussagen zum Rennsport, der Pferderasse Vollblut und zur Reiterei sind absichtlich allgemein gehalten. Sowohl im Renn- wie auch im Reitsport gibt es unterschiedliche Philosophien zu Haltung, Umgang und Training. Hier alle Eventualitäten festzuhalten, würde aber den Rahmen sprengen. Deshalb ist es angehenden Besitzern eines ehemaligen Rennpferdes angeraten, sich direkt beim Trainer darüber zu informieren.
Im Text wird häufig das Wort Vollblut verwendet. Obwohl dies der Überbegriff für sämtliche hochblütigen Pferderassen ist, ist in diesem Text ausschliesslich das Englische Vollblut gemeint.

Dienstag, 1. September 2015

Einleitung Ausbildung


Rennpferde sind sich aus dem Trainingsstall einen geregelten Tagesablauf gewohnt. Nebst festen Fress- und Ruhephasen findet auch das Training stets zur gleichen Zeit statt. Ausserdem ist der Bewegungsradius - die Trainingsbahn und das umliegende Gelände - für die Pferde überschau- und somit berechenbar und die Begleitung anderer Pferde bietet zusätzliche Sicherheit. Der neue Alltag als Freizeitpferd unterscheidet sich grundlegend vom Leben auf der Rennbahn. Die vielen neuen Aufgaben und Eindrücke kann ein Rennpferd deshalb überfordern, führt der neue Besitzer das Pferd nicht umsichtig und mit viel Geduld daran heran. Ausserdem können körperliche Schwächen, wie eine ausgeprägte Schiefe und fehlende Balance, das Reiten erschweren. Natürlich unterscheiden sich die einzelnen Pferde Charakterlich voneinander und auch die Voraussetzungen, die sie aus dem Trainingsalltag mitbringen sind unterschiedlich. So kommt ein nervenstarkes und selbstsicheres Rennpferd gut mit der neuen Umwelt klar, hat dafür in der Reitpferdeausbildung einiges aufzuholen. Hingegen gibt es Pferde, die während des Renntrainings dressurmässig geritten wurden, sich dafür bei der Führarbeit oder im Gelände noch schwertun. So oder so macht es Sinn, alle Ausbildungsschritte nochmals zu widerholen um sicher zu gehen, dass der Start ins Reitpferdeleben klappt. Die folgenden Beiträge schliessen daher alle Eventualitäten der Ausbildung und möglichen Schwierigkeiten mit ein. Klappen einzelne Themen bereits ist dies umso besser, denn dann kann die Ausbildung schneller voranschreiten.

Sonntag, 23. August 2015

Das Rennpferd richtig abtrainieren

Rennpferde sind Hochleistungssportler, das Training ist vor allem auf Ausdauer ausgerichtet. Entsprechend ist ihr gesamter Organismus an die hohe Belastung angepasst. Daran ändert sich auch (noch) nichts, wenn Rennpferde von der Bahn in den Reitstall gelangen. Damit es nach Beendigung der Rennkarriere nicht zu einem massiven Leistungsabfall mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen für den Vollblüter kommt, muss der Reiter diesen zu Beginn der Ausbildung korrekt abtrainieren. Als Reitpferd ist neben Ausdauer vor allem Tragkraft gefragt. Ziel des Trainings ist es, die auf Ausdauer ausgerichtete Muskulatur, Gelenke, Sehnen und Bänder nun behutsam umzustellen.

Voraussetzungen fürs Abtrainieren

Entscheidend ist, was in den letzten Monaten auf der Rennbahn mit dem Vollblüter gemacht wurde. Manche Rennpferde werden noch während der Zeit auf der Rennbahn abtrainiert. Passiert dies nicht, kommt es drauf an, zu welchem Zeitpunkt das Rennpferd von der Bahn kommt. Während der Rennsaison ist der Vollblüter auf Höchstleistung trainiert, hingegen wird in den Wintermonaten das Pensum meistens reduziert. Wie hoch das aktuelle Trainingspensum ist, darüber kann der Trainer Auskunft geben. Der Ausbilder sollte nahtlos an die Trainingsanforderungen im Rennstall anknüpfen. Vorausgesetzt natürlich, der Vollblüter wurde gesund aus dem Training genommen.

Was während der Umstellungsphase passiert

Die Umstellung erfordert vor allem Zeit. Denn nicht nur die Psyche des Pferdes muss sich an die neuen Anforderungen anpassen.
Während der Aufbauphase wird durch kontinuierliche Leistungssteigerung das Herz-Kreislaufsystem verbessert. Dadurch bildet der Organismus mehr rote Blutkörperchen, damit die Körperzellen optimal mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden können. Das Binde- und Stützgewebe wird verdichtet und die Muskelfasern vergrössert, um der erhöhten Leistung stand zu halten. Die Veränderungen am Bewegungsapparat benötigten unterschiedlich viel Zeit. Die „biologische Halbwertszeit“ bezeichnet die Zeitspanne, in der bei Trainingsbeginn die hälfte des vorhandenen Materials abgebaut und durch neues (leistungsfähigeres) ersetzt wird. Die Muskulatur benötigt dafür etwa drei Monate. Sehnen, Gelenke und Knochen hingegen fast ein ganzes Jahr. Der Prozess, sich an die neuen Anforderungen anzupassen, lässt sich nicht beschleunigen. Im Gegenteil führt zu forciertes Training zu frühzeitigem Verschleiss und Verletzungen durch Überbelastung.
Beim Abtrainieren wird eben dieser Prozess durch entsprechendes Training langsam zurück gefahren, damit sich der Bewegungsapparat an die geringere Leistung anpassen kann.
Eine abrupte Trainingsverminderung würde zu einem Ungleichgewicht mit erheblichen gesundheitlichen Störungen führen. So kann das bei menschlichen Hochleistungssportlern bekannte „akute Entlastungssyndrom“ auch bei Sportpferden ausgelöst werden. Dies zeigt sich unter anderem nach wenigen Tagen bis Wochen durch Schwitzen ohne ersichtlichen Grund, innere Unruhe, verändertem Fressverhalten und Verdauungsbeschwerden. Aber auch auf die Psyche des Pferdes hat das „akute Entlastungssyndrom“ seine Auswirkungen, die sich in Lustlosigkeit bis hin zu Depressionen äussern können.
Für das Abtrainieren muss also mit mindestens einem halben Jahr gerechnet werden.

Die Umstellungsphase strukturieren

Die Umstellungsphase knüpft an die Leistung im Renntraining an und muss daher individuell geplant werden. Folgende Aspekte werden dabei schrittweise reduziert:
  • Die Häufigkeit des Trainings 
  • Die Intensität des Trainings
  • Die Dauer der Trainingseinheit 
  • Trainingsinhalte 
  • Steigerung der Weidezeit
Baut der Reiter das Geländetraining bereits zu Beginn der Ausbildung mit ins Programm ein, kann er an den Leistungen im Rennstall anknüpfen und diese Schrittweise verringern. Man sollte mit einem voll im Training stehenden Vollblüter die ersten beiden Monate mindestens 3 bis 4 Mal wöchentlich im Gelände im leichten Sitz lange und lockere Trab- oder Galoppsequenzen einbauen. Nach und nach verringert man nun sowohl die Intensität der Sequenzen wie auch die Dauer, bis man zuletzt bei viel Schritt mit wenigen Sequenzen Trab und Galopp angelangt ist.
Zugleich kann der Reiter nun beginnen, die für die Umschulung erforderlichen Ausbildungsschritte an zwei Tagen zu trainieren. Nach und nach werden hierbei die Anforderungen erhöht. Dies hat zum einen den Vorteil, dass der Vollblüter schrittweise an die neuen Aufgaben herangehen kann in Verbindung zu Altbekanntem. Ausserdem fordern die neuen Lektionen dem Vollblüter viel Kopfarbeit ab, was vor allem an Anfang anstrengend ist. Die Konzentrationsspanne reicht erfahrungsgemäss für etwa 20 Minuten, mit Pausen etwas länger. Der körperlichen Auslastung kann so nur bedingt Rechnung getragen werden, weshalb erst eine Kombination aus beidem für ein rundum ausgeglichenes Pferd sorgt. Im Verlauf des Abtrainierens können die Tage, an denen die Ausbildung stattfindet zulasten der Tage des Ausdauer-Abbautrainings erhöht werden.
Wichtig ist auch, in dieser Phase die Fütterung den Anforderungen anzupassen. Der Reiter sollte sich vorgängig beim Trainer über die aktuelle Futtermenge informieren und vor allem das Kraftfutter schrittweise reduzieren. Nicht reduziert werden sollte die Raufuttermenge, die am Besten à discretion angeboten wird (mehr dazu im Beitrag „Fütterung“).

Kommt der Vollblüter neu in den Reitstall, kann man ihm aber gut einige Tage Eingewöhnung mit Umgebungserkundung gönnen, ohne gleich Gefahr zu laufen, dass ein Leistungsabfall eintritt. Ausserdem sollten auch während der Phase des Abtrainierens mindesten 1 bis 2 arbeitsfreie Weidetage eingebaut werden.
Im Anschluss an die Phase des Abtrainierens kann man dem Vollblüter auch eine länger dauernde Weidepause gönnen. Vorausgesetzt, das Pferd kann täglich in der Herde auf die Weide. Für die vollständige Regeneration werden 6 bis 8 Wochen empfohlen. Gerade in Anbetracht dessen, dass der ehemalige Galopper noch lange ein gesundes Reitpferd bleiben soll, bringt eine längere Pause nur Vorteile. Danach kann mit einem vollständig regenerierten und motivierten Vollblüter in die weiterführende Ausbildung gestartet werden.

Samstag, 22. August 2015

Die spinnen, die Vollblüter!

Während in Südeuropa bereits eine normale Unterhaltung lautstark und reich gestikulierend geführt wird, sind die Mitteleuropäer eher ruhig und sachlich in ihrer Kommunikation. In Italien z.B. sind Emotionen und hohe Lautstärke positive Eigenschaften eines Gesprächs. Es zeugt von reger Beteiligung und gut funktionierender Kommunikation.
In Mitteleuropa würde dies bereits als Konflikt gewertet. Hier dient die Kommunikation der Informationsübermittlung und nicht der Selbstdarstellung.
Und genau wie Menschen haben Pferde unterschiedliche Kommunikationsstrategien. Nordische Rassen kommunizieren eher subtil miteinander. Ihr ursprüngliches Klima bedingte es, dass die Herde eng zusammenstand, um sich vor der Kälte zu schützen. Aufgrund der geringen Distanz untereinander konnten sie sich mit kleinsten Signalen verständigen. Ganz im Gegensatz zum „Wüstenpferd“ Vollblut, dessen Herde eher über grosse Flächen verteilt waren. Die grosse Distanz bedingte eine gestikreiche Kommunikation, damit auch der etwas mitbekam, der am weitesten Weg stand.
Wenn Vollblüter also „ihre schwachen fünf Minuten“ haben, sind sie keine neurotischen Spinner, sondern sie teilen ihre Bedürfnisse mithilfe ihrer natürlichen Kommunikationsstrategie mit. Pferde werden, wie Menschen, von ihren Emotionen geleitet. Diese haben eine wichtige Aufgabe und bestimmen massgeblich das Verhalten mit. Und weil vor allem die überschwänglichen Reaktionen dem Reiter im Umgang Schwierigkeiten bereiten können, soll hier im Besonderen darauf eingegangen werden.

Emotionen – die Wurzeln des Verhaltens

Die Wahrnehmung des Pferdes ist von seinem Instinkt geprägt. Daneben bestimmen Erfahrung und Erfolgs- resp. Misserfolgserlebnisse über die Reaktion auf eine Situation. Erlebnisse werden mit Emotionen verknüpft, dabei können Pferde z.B. Angst, Furcht, Freude aber auch Ärger uvm. empfinden. Emotionen schützen das Pferd vor allfälligen Gefahren und haben die Aufgabe, zu signalisieren, ob etwas gut oder schlecht ist, um möglichst lange und gesund zu leben. Dabei gilt der Grundsatz, was sich gut anfühlt, ist auch gut für das Pferd. Ihre Emotionen drücken sie ausschließlich über die Körpersprache aus.
Vollblüter teilen ihre Gefühle ehrlich und direkt mit, denn in ihren Augen sind sie in der Situation angebracht. Dabei sind Vollblüter weder berechnend noch bösartig, sie versuchen lediglich durch ihr Verhalten ihre Bedürfnisse zu signalisieren. Ihre Reaktion setzt sich dabei aus dem vorherrschenden Gefühl, z.B. Unsicherheit, dem Instinkt, also Vorsicht walten zu lassen und einer erlernten Reaktion, die auch Charakterabhängig ist, zusammen. So ist der unsichere Vollblüter eher schnell nervös und guckig in vermeintlich geringen Gefahrensituationen, entspannt sich aber genauso schnell durch die ruhige Führung des Reiters. Ein mutiger Vollblüter braucht länger, bis er etwas als gefährlich einstuft, ist aber weniger schnell vom Gegenteil zu überzeugen. Pferde haben verschiedene Strategien, um aus einer unangenehmen Situation heraus zu kommen. Diese ist auch abhängig vom Temperament des jeweiligen Pferdes. Vollblüter machen es durch ihre Extrovertiertheit dem Reiter leicht, zu erkennen, was sie gerade bewegt. Das bedeutet nicht, dass nicht auch ein Kaltblüter die gleiche Situation z.B. beängstigend finden würde, seine Signale sind durch seine introvertierte Art jedoch sehr viel subtiler und leichter zu übersehen resp. zu übergehen.

Die Körpersprache als Lesehilfe

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Vollblüter überschwänglich reagieren. Zum einen kann dies zu viel angestaute Energie aufgrund unzureichender Auslastung sein. Auch Übermut und Freude lassen Vollblüter herumhüpfen. Ersteres lässt sich durch artgerechte Haltung und Beschäftigung vermeiden, letzteres darf vom Reiter als Kompliment angesehen werden.
Die häufigere Ursache für hyperaktives Verhalten ist jedoch Stress. Der Unterschied ist klar erkennbar. So zeigen glückliche Vollblüter auch bei übermütigen Reaktionen ihre Freude durch das sogenannte Spielgesicht. Der Ausdruck ist grundsätzlich freundlich und wach, die Ohren sind aufgestellt und die Nüsternpartie ist entspannt.
Ganz im Gegensatz dazu zeigt sich Stress beim Vollblüter durch eine hohe Anspannung, einen harten Gesichtsausdruck und massiv erhöhte Aufmerksamkeit. Die gesamte Körperhaltung ist eher starr und unbeweglich. Kurzfristiger Stress ist eine natürliche Reaktion auf eine Gefahr. Der gesamte Organismus läuft auf Hochtouren, um im Bedarf innerhalb kürzester Zeit zu reagieren. Dabei wird der Herzschlag intensiviert, die Durchblutung erhöht und die Sinne geschärft. Vollblüter reagieren in dieser Situation auf kleinste Veränderungen. Das rationale Denkvermögen wie auch das Schmerzempfinden wird dabei stark eingeschränkt. Vollblüter gelten als aktive Stresstypen, das heisst, ihre Verfassung ist ihnen anzusehen, da sie den Stress nach aussen tragen. Zu unterscheiden ist kurzfristiger Stress aufgrund von Gefahrensituationen und langfristiger Stress, dem der Vollblüter durch seine Bewältigungsstrategien nicht selbständig entgehen kann.

Stressreaktionen

Um auf kurzfristigen Stress zu reagieren, haben Pferde vier Bewältigungsstrategien.
Diese nennt man „flirt“, was bedeutet, dass das Pferd durch unterwürfige Kommunikationsgesten versucht, den Stressor zu beschwichtigen. „Fight“ ist der Versuch, den Stressor durch Kampf zu beseitigen. Bei „flight“ wird dem Stressor durch Flucht entkommen und freeze bedeutet, dass das Pferd regungslos stehenbleibt. Welche Strategie ein Pferd wählt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wobei die einzelnen Strategien auch kombiniert werden können. Langfristiger Stress äussert sich beim Vollblüter immer zuerst in den oben erwähnten Reaktionen. Fruchten diese Strategien nicht, kann dauerhafter Stress unter anderem zu Resignation bis hin zu Depression, Agressivität, Krankheit oder stereotypen Verhalten führen. Hier ist der Reiter in der Pflicht, frühzeitige Warnsignale zu erkennen und zu beseitigen.
Grundsätzlich sind nämlich auch Vollblüter Energiesparer. Es ist deshalb nicht natürlich, wenn der Vollblüter unter Dauerspannung steht und wegen jeder Kleinigkeit explodiert. Pferde wenden nur so viel Energie auf wie nötig, schliesslich müssen sie Fit bleiben für eine allfällige Flucht. Es macht deshalb wenig Sinn, wenn das Pferd permanent unter Spannung steht und so viel Energie verloren geht.

Führung und Vertrauen

Eine gute Führungspersönlichkeit macht unter anderem aus, dass sich diese in sein Gegenüber, also den Vollblüter, hineinversetzen kann. Dabei versteht der Reiter die Hintergründe für das Verhalten und die Wirkung, die er in dieser Situation hat. Wenn sich Vollblüter verstanden und sicher fühlen, sind sie ruhig und ausgeglichen und durch ihre Intelligenz und Neugier grundsätzlich positiv gegenüber neuen Eindrücken eingestellt. Wer beweist, dass er erfahren genug ist, gelassen jede Situation zu meistern und somit das Bedürfnis des Pferdes nach Sicherheit abdecken kann, gewinnt schnell das Vertrauen und somit die Führposition.
Ungünstig für die Beziehung ist es, wenn man selber unsicher ist und dennoch versucht, die Situation irgendwie zu meistern oder gar anfängt, aus Überforderung den Vollblüter für seine hyperaktive Reaktion zu strafen.
Aus Sicht des Pferdes macht eine Strafe in dieser Situation überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil ängstigt man den Vollblüter nur noch mehr, da zur gefährlichen Situation nun auch noch eine unberechenbare und somit nicht adäquate „Führperson“ dazu kommt. Ein Teufelskreis entsteht, aus dem man ohne Hilfe nur schwer wider herausfindet.
Es ist dabei aber ebenso wenig hilfreich, den Vollblüter zu einem neurotischen Angsthasen abzustempeln. Jedoch kann vertieftes Wissen über das Verhalten in verschiedenen Situationen helfen, diese realistisch einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. An Unsicherheit und Angst beim Vollblüter kann und soll der Reiter arbeiten, damit eine entspannte Beziehung entsteht (siehe Lernstrategie „Gewöhnung“).
Auch wenn mit der Arbeit das Vertrauen zum Reiter wächst und der Vollblüter nicht mehr so häufig Stressverhalten zeigt, muss sich der Reiter beim Kauf eines Vollblutes bewusst sein, dass solche Reaktionen auch einfach ein Charaktermerkmal dieser Rasse ist. Der Reiter muss sich also entscheiden, ob er mit dem emotionalen Verhalten leben und auch umgehen kann. Wenn nicht, sollte man sich entweder professionelle Hilfe holen oder sich überlegen, ob man letzten Endes mit einem ruhigeren Pferd nicht besser bedient ist.

Dienstag, 11. August 2015

Gelassenheit im Umgang - Übungen für den Reiter

Was sich einfach anhört, ist in stürmischen Situationen manchmal schwierig umsetzbar. Nicht desto trotz ist es wichtig, dass der Reiter seine „Körpersprache“ im Griff hat. Vollblüter sind Meister im lesen von Körpersprache. Sie bemerken bereits einen Aussetzer in der Atmung und ziehen daraus ihre Schlüsse. Deshalb hier vier Übungen für mehr Bodenhaftung:

Atemübung

Auch wenn der Reiter äusserlich gelassen erscheint, die Atmung verrät dem Vollblüter, wie es wirklich um ihn steht. In angespannten Situationen ist diese meist flach und setzt zeitweise kurz aus. Dies führt automatisch zu Anspannung in der Bachmuskulatur, was wiederum verhindert, dass der Reiter locker in der Bewegung des Pferdes mitschwingt. Diese zwei einfachen Atemübungen helfen, schnell wieder in den Entspannungsmodus zurück zu finden.

Bauchatmung

Generell atmen viele Reiter nicht bis in den Bauch, sondern nur in den Brustkorb. Für die Bauchatmung hilft es, sich vorzustellen, dass unterhalb der Lunge ein Blasebalg sitzt (das Zwerchfell), der sich bei Einatmen aufzieht und beim Ausatmen durch zusammenschieben die Luft ausstösst. Das Atmen wird so weniger aufwendig und es fühlt sich an, als würde man flacher, dafür tief bis auf Höhe des Bauchnabels einatmen.

Durchatmen

Eine weitere Übung, die für entspanntes Atmen sorgt, ist, wenn man sich vorstellt, man hat anstatt Beine und Arme lange, gegen unten offene Röhren. Beim Ausatmen weicht die Luft aus den unteren Enden der Röhren. Dies sorgt für tiefes Durchatmen und löst allfällige Anspannungen.

Weicher Blick, fixierender Blick

Ein wichtiger Aspekt für eine entspannte Grundhaltung ist der Blick. Menschen können als „Jäger“ mit den Augen Gegenstände fixieren und den Rest der Umwelt ausblenden. Dies führt vor allem zu Anspannung in der Schulterpartie. Lässt man den Blick hingegen weich werden und schweifen, kann man feststellen, wie weit das Blickfeld eigentlich reicht. Durch den weichen Blick stellt sich automatisch auch eine entspannte Haltung ein.

Übung „Füsse auf den Boden“

Im Umgang mit Vollblütern braucht es nicht nur Entspannung, sondern auch Bodenhaftung. Diese Übung hilft, sich (auch wenn es esoterisch klingt) zu „erden“. Dazu stellt man die Füsse hüftbreit hin und rollt von den Fersen zu den Zehen und zurück, bis man das Gefühl hat, man klebt förmlich am Boden und kann nur noch minim vor- und zurückrollen. Dieses Gefühl nimmt man nun mit, sowohl bei der Arbeit mit dem Vollblüter am Boden wie auch im Sattel. Beim Reiten verhilft es zu einem tieferen Sitz mit langem Bein. Man sollte aber darauf achten, dass man nicht in die Bügel stemmt.

Beckenübung

Diese Übung hat nebst einer „zentrierenden“ Wirkung auch noch den Effekt, dass man weicher im Becken wird und so im Sattel der Bewegung des Pferdes geschmeidiger folgen kann. Dazu stellt man sich gerade hin, die Beine hüftbreit auseinander. Die Knie werden locker ein wenig angewinkelt. Nun schwingt man das Becken langsam nach vorn und wieder zurück, ohne dabei die Beine oder den Oberkörper zu bewegen. Zu Beginn dieser Übung kann es sich etwas „angerostet“ anfühlen. Mit der Zeit werden die Bewegungen immer geschmeidiger.





Führungskultur

Vollblüter werden häufig für Schwierig um Umgang gehalten. Durch ihre extrovertierte „Kommunikation“ können Sie den Reiter ganz schön fordern. Besonders dann, wenn der Vollblüter scheinbar völlig unkontrolliertes Verhalten an den Tag legt. Unter anderem lassen sich solche Situationen mit der richtigen Führungsstrategie bewältigen und diese führt letzten Endes auch dazu, dass sie immer seltener werden. Mehr noch ist eine gute Führungskultur die Grundlage für eine harmonische Pferd-Mensch-Beziehung.

Führungskultur in der Pferdeherde

Wer Vollblüter richtig Führen will, muss wissen, wie sich Pferde in einer Herde organisieren.
Über die Führungskultur eine Herde geistern noch immer falsche Vorstellungen in den Köpfen vieler Reiter rum. Die prominenteste Ansicht ist die Dominanz-Theorie - doch die ist aus ethnologischer Sicht fehlerhaft. Die Rangordnung verläuft innerhalb einer Herde nicht linear, sondern ist ein komplexes soziales Geflecht. Die Aufgaben innerhalb der Herde werden nach den jeweiligen Stärken der Herdenmitglieder aufgeteilt.
Die Leitstute besitzt aufgrund ihrer Lebenserfahrung am meisten Stärken. Deshalb folgt die Herde diesem Tier, weil es am ehesten für deren Überleben sorgen kann. Das mutige, aggressive Pferd verteidigt die Herde und ist dafür verantwortlich, dass keiner zurück bleibt. Dieses Pferd ist in der Regel der Leithengst. Es führt also nicht das Pferd, dass die anderen durch seine Dominanz und Aggressivität am besten unterdrücken kann, sondern dasjenige, welches am erfolgreichsten die Bedürfnisse der ganzen Herde decken kann. Pferde sind auch nicht grundsätzlich dominant gegenüber anderen, vielmehr dominieren sie in einer bestimmten Situation, um ihre individuellen Bedürfnisse durch zu setzen. Das tun auch rangtiefe Pferde, das macht sie jedoch noch lange nicht zum Leittier der ganzen Herde. Die Rangordnung ist zudem stetigen Wechseln unterworfen. So kann eine Stute höher im Rang sein, sobald sie ein Fohlen bei Fuss hat. Freundschaften zwischen zwei Pferden sind rangunabhängig. Bestehen in der Beziehung des Reiters zu seinem Pferd Probleme, sind diese nicht wie vielfach propagiert auf fehlende Dominanz (Aggressivität) und Rangstellung des Reiters zurück zu führen. Eine Rangordnung ist ohnehin nur dort Sinnvoll, wo es um den Kampf um Ressourcen geht und dieser besteht in der Pferd-Mensch-Beziehung nicht.

Nichts desto trotz brauchen Vollblüter eine vertrauenswürdige Führperson. Jedoch keine dominante, sondern eine souveräne Persönlichkeit. Es sind nämlich die wenigsten Pferde, die eine Führungsposition für sich in Anspruch nehmen wollen. Viel eher haben die Meisten das Bedürfnis, sich einer souveränen Führperson anzuschliessen. Die Ursache für Probleme ist kann ein Reiter sein, der seine Rolle als Führperson nicht wahrnimmt.
Gerade Vollblüter frisch ab der Rennbahn haben einen besonderen Anspruch auf Führung. Es sind mehrere Faktoren, mit denen Vollblüter am Anfang ihrer Reitpferdekarriere konfrontiert werden und die Unsicherheit auslösen können. Es sind meist junge Pferde, die aus dem Rennsport ausgemustert werden und an die viele neue Anforderungen gestellt werden.
Dies kann bei Vollblütern erstmals Abwehrverhalten auslösen, was nicht bedeutet, dass der er keine Lust hat oder Stur ist. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Führperson auch wirklich vertrauenswürdig ist. Der Ausbilder ist hier in der Pflicht, diesem Umstand Rechnung zu tragen und dem Vollblüter die Unsicherheit zu nehmen.

Führen in der Praxis

Basierend auf den oben genannten Gründen bedeutet dies für den Ausbilder einen konkreten Führungsanspruch, den der Vollblüter an diesen stellt. Hier sechs wichtige Aspekte einer guten Führungskultur:
  • Der Ausbilder sollte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, dennoch aber Kritikfähig bleiben und eine gute Fehlerkultur haben. Für den Vollblüter spielt letzten Endes keine grosse Rolle, ob er nun etwas zuviel Abstellung im Schulterherein hat, so lange der Reiter dies im Moment überzeugend rüberbringt und sich beim nächsten Mal korrigiert. 
  • Ruhe bewahren ist eine der wichtigsten Eigenschaften im Umgang mit Vollblütern. Egal wie nervös oder schwierig der Vollblüter in seinem Verhalten ist, der Reiter sollte stets der ruhende Pol in der Pferd-Mensch Beziehung sein. Der Vollblüter wird sich mit der Zeit der Ruhe des Reiters angleichen (siehe Übungen für mehr Gelassenheit). 
  • Souverän zu sein bedeutet, Situationen vorausschauend im Griff zu haben aber auch in Überraschungsmomenten besonnen zu handeln. Das heisst, der Reiter bleibt in jeder Situation aufmerksam und übernimmt die Verantwortung. Souverän bedeutet für den Vollblüter auch, dass er den Reiter einschätzen kann, weil dieser stets gleich reagiert. Er bleibt also für das Pferd transparent.
  • Führung beginnt beim Anhalftern und endet erst beim Zurückführen in den Stall. Der Ausbilder muss von Anfang an seine Führposition wahrnehmen und nicht erst auf dem Platz bei den Führübungen. 
  • Vollblüter fordern zudem eine sensible Führung. Sie lassen sich nicht durch übermässigen Druck zu Handlungen zwingen. Für den Reiter bedeutet dies, den Vollblüter über seine Motivation abzuholen, aber auch konsequent etwas einzufordern, in dem er hartnäckig dranbleibt. 
  • Ebenso von Bedeutung ist die innere Einstellung des Reiters. Er sollte vor allem selbst keine Angst haben, sondern stets überzeugt sein von der Machbarkeit seines Vorhabens. Ausserdem hilft es, wenn man potenzielle Gefahrensituationen als normal deklariert. Dies in dem man z.B. das Kreuzen von Lastwangen als Alltagsgeschäft betrachten und nicht als spezielle Situation. Auch wenn der Vollblüter dieses Situation am Anfang beängstigend finden sollte, vertritt die Führperson grundsätzlich die Haltung, dass ein schepperndem Anhänger völlig normal ist. Dies bedeutet, dass der Reiter Gefahren zwar registriert, diesen aber nicht weiter Beachtung schenkt. Macht der Reiter ein Aufheben um die Sache macht das Pferd automatisch mit. Passiert man Gefahren jedoch mit einem inneren Schulterzucken, wird der Vollblüter vielleicht noch ausweichen, sich aber genauso schnell wieder beruhigen. 
  • Der Vollblüter soll sich am Reiter orientieren, also auch an dessen Tempo. Viele Reiter machen den Fehler, dass sie sich automatisch anpassen, wenn das Pferd z.B. langsamer wird. Sie lassen sich unbewusst durch das Pferd steuern und reagieren erst, wenn das Pferd bereits steht. Häufig blickt dieser dann auch noch in Richtung Pferd, sobald dieses sich weigert, etwas zu passieren. Der Reiter sollte sich an den Grundsatz halten, dass der Vollblüter sich stets Ihm anpasst und nicht umgekehrt. Der Reiter achtet also auf sein Tempo und treibt den Vollblüter nötigenfalls nach, stets mit Blick zur Zielrichtung.

Sonntag, 9. August 2015

Befähigen statt befehlen – wie Vollblüter lernen

Wer einen Galopper frisch von der Bahn kauft, muss sich bewusst sein, dass man ihm, ähnlicher einer Remonte, vieles von Grund auf neu beibringen muss. Im Gegensatz zu einer Remonte jedoch können Rennpferde schon einiges, nur nicht dass, was man von einem Reitpferd im Allgemeinen erwartet. Man muss ihnen also nicht nur neues beibringen, sondern auch vieles, was das Rennpferd bereits gelernt hat, umlernen. Ausserdem bietet der Trainingsalltag im Rennstall wenig Anreiz, sich auf spielerische Art in die Arbeit einzubringen. Häufig wirken Vollblüter am Anfang der Reitpferdeausbildung deshalb unbeteiligt. Dabei lernen Vollblüter gerne neues und je höher die Motivation ist, desto grösser der Erfolg der Ausbildung für Pferd und Reiter. Um auf diese Besonderheit in der Ausbildung eines Vollblüters eingehen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie Vollblüter lernen.

Wie Vollblüter lernen – Basis für erfolgreiches Ausbilden

Vollblüter lernen ständig, deshalb beginnt auch die Erziehung nicht erst auf dem Reitplatz, sondern bereits beim Anhalftern. Ob der Vollblüter „brav“ oder „frech“ ist, liegt nicht allein an seinem Charakter, sondern vielmehr daran, was und auch wie der Reiter ihm etwas beibringt und vor allem, wie hoch die Motivation des Pferdes ist, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Erziehung bedeutet deshalb, ein bestimmtes Verhalten, wie ruhiges Stehenbleiben am Anbindeplatz, für das Pferd reizvoll zu gestalten, aber auch langfristig konsequent Einzufordern.

Pferde lernen auf verschiedene Weise. Entscheidend dabei ist, ob sich aus Sicht des Pferdes ein Verhalten lohnt, das heisst, ob es ein Bedürfnis damit befriedigen kann. Je höher aus Sicht des Pferdes die Erfolgschancen sind, desto grösser die Motivation, das Verhalten künftig öfters zu zeigen.

Pferde können zum einen durch Gewöhnung lernen. Das heisst nichts anderes, als dass zum Beispiel ein Reiz, der im ersten Moment Erschrecken auslösen kann, durch häufige Wiederholung an Wirkung verliert, sofern das Pferd damit weder etwas positives noch etwas negatives verbindet.

Bei der Sensibilisierung wird dem Pferd beigebracht, auf einen Reiz eine schnelle Reaktion zu zeigen. Der Reiz muss dabei so stark sein, dass das Pferd diesem mittels unmittelbarer Reaktion versucht zu entgehen. Dabei muss das Pferd keine Schmerzen empfinden, den Reiz jedoch als unangenehm betrachten.

Bei der klassischen Konditionierung verknüpft das Pferd einen ursprünglich neutralen Reiz mit einer Bestimmten Bedeutung. Dabei wird der Reiz stets mit der gleichen Bedeutung bestätigt.

Bei der operanten Konditionierung lernt das Pferd, in dem es in einer neuen Situation verschiedene Lösungsstrategien ausprobiert und anhand der dadurch entstehenden negativen oder positiven Folgen entscheidet, ob sich das entsprechende Verhalten lohnt. Das Ergebnis ist dabei stark von der generellen Motivation des Pferdes für eine Bestimmte Handlung abhängig. Es braucht also einen Grund für sein handeln, der entweder für das Pferd positiv oder negativ ausfallen kann.

Der Ausbilder hat bei den verschiedenen Lernstrategien stets die Wahl, ob er das Pferd mittels negativer Konditionierung zu einem Verhalten zwingen oder aber durch eine in Aussicht gestellte Belohnung dazu motivieren will. Dafür gibt es vier Handlungsoptionen. Der Ausbilder kann etwas Angenehmes hinzufügen oder vorenthalten, oder aber etwas unangenehmes Hinzufügen respektive beenden. Mit „unangenehm“ ist dabei Druck in verschiedenen Formen gemeint und das unterlassen des Drucks wird (durch den Menschen) als die eigentliche Belohnung angesehen. Bei ausschliesslich negativ gestaltetem Training muss aufgrund der Gewöhnung der Druck stets erhöht werden.

Mit Strategie statt mit Druck

Wer schon einmal mit Vollblütern zutun hatte weiss, wie empfindlich diese Pferde auf Druck reagieren. Wird ausschliesslich auf Basis der negativen Konditionierung gearbeitet, bedeutet dies langfristig eine massive Verschlechterung in der Pferd-Mensch Beziehung und führt nicht selten zu sogenannten „Problempferden“. Für den Vollblüter bedeutet übermässiger Druck dauerstress, wodurch er selten resigniert, sondern viel eher versucht, sich der Situation durch Übersprunghandlungen zu entziehen. Der Vollblüter baut durch den entstandenen Stress nämlich deutlich schneller Spannung auf, die sich durch „explosives“ Verhalten rasch entlädt. Denn damit ein Pferd lauffreudig und schnell sein kann, muss es unter anderem über einen temperamentvollen Charakter verfügen. Temperament ist denn auch ein Zuchtziel des Vollblüters. Dass dieses Temperament auch mal überschäumen kann, liegt in der Natur dieser Pferde. Stimmen die Voraussetzungen, sollten Vollblüter aber spätestens nach der Eingewöhnungsphase ruhiger und ausgeglichener werden.

Steht das ehemalige Rennpferd längerfristig unter Dauerspannung und Explodiert bei jeder Gelegenheit, müssen die Gründe dafür ermittelt werden. Übersprunghandlungen resultieren immer aus einer Überforderung des Vollblüters heraus.

Nicht zu verwechseln sind Übersprunghandlungen mit gelegentlichen, situationsbezogenen „heftigen“ Reaktionen, tagesformabhängige Motivationstiefs oder Tests, die das Ziel haben, den Reiter in seiner Führungsposition zu überprüfen. Vorausgesetzt, der Vollblüter ist allgemein zufrieden und ausgeglichen.

Eine mögliche Ursache für Überreaktionen kann die üblicherweise benötigte Grundspannung des Reiters sein, der sich gewohnt ist, mit weniger sensiblen Pferden umzugehen. Vollblüter bemerken bereits kleinste Anspannungen im Körper des Reiters. Im Umgang mit Vollblütern benötigen Reiter daher eine sehr geringe Grundspannung. Es ist vielmehr ein Spiel zwischen kurzer Anspannung und sofortigem Loslassen. Ist die Grundanspannung des Reiters permanent zu hoch, versucht der Vollblüter sich der für ihn unangenehmen Situation zu entziehen. Dosierung und Dauer sind also entscheidend.

(Ursachen können ebenfalls in nicht artgerechter Haltung und falscher Fütterung liegen, aber auch Schmerzen wegen Krankheiten/Verletzungen oder unpassender Ausrüstung können dem Vollblüter das Leben schwer machen. Der Ausbilder sollte diese Punkte stets ausschliessen können, bevor er mit gezielten Übungen die Gelassenheit des Vollblüters fördern kann.)

Lernen in der Praxis

Man bringt einem Vollblüter etwas bei, in dem man mithilfe eines Impulses das Pferd auffordert, etwas zu tun und die richtige Reaktion bestätigt, in dem man etwas Positives hinzufügt, also z.B ein Leckerlie oder Stimmlob. Folgt eine falsche Reaktion, wird die Übung nochmals abgefragt (in neutraler Stimmung), ohne dabei das Pferd für die falsche Reaktion zu strafen. Man hält dem Pferd also das Lob so lange vor, bis es die richtige Reaktion zeigt. Bei ausschliesslich positiver Verstärkung wird gänzlich ohne Druck gearbeitet. Vollblüter neigen vor allem bei neuen Übungen zu Hektik, wenn man ihnen einen allzu grossen Spielraum an Lösungsvorschlägen überlässt. Ein möglichst enger Rahmen, bei dem der Vollblüter aufgrund klarer Hilfengebung nur eine richtige Lösung anbieten kann, ist für ihn stressfreier. Ist der Vollblüter erstmals mit dieser Arbeitsweise vertraut, kann man den Spielraum ruhig vergrössern.

Um übermässigen Druck zu vermeiden, bietet sich die Hilfengebung mittels Impulsen an (siehe Beitrag Hilfengebung). Diese werden immer nach dem Prinzip kleinstmöglicher Druck angewendet. Braucht es eine deutlichere Hilfe, wird beim nächstens Mal sofort wieder mit der kleinsten möglichen Hilfe angefragt. Damit feines Reiten klappt, muss das Umsetzen der Hilfen konsequent eingefordert werden. Das Unterteilen der Lektionen in Einzelschritte kann dem Vollblüter helfen, das Geforderte besser zu verstehen und umzusetzen.

Lernklima

Damit das Pferd stets motiviert und kooperativ an die neuen Aufgaben herangeht, ist es wichtig, für ein entspanntes und positives Lernklima zu sorgen. Am Anfang ist eine möglichst reizarme Umgebung für die ersten Ausbildungsschritte auszusuchen, damit sich der Vollblüter ganz auf die an ihn gestellte Aufgaben konzentrieren kann. Am besten eignet sich dafür die Halle oder Reitplatz zu Randzeiten, wenn wenig andere Reiter diese nutzen. Klappt eine Übung, kann diese in einer Umgebung abgefragt werden, die etwas mehr Ablenkung bietet, z.B im Wald oder wenn die Halle voll belegt ist. Die Steigerung ist die reizstarke Umgebung, wie z.B. Straßenverkehr oder andere belebte Plätze. Es ist wichtig, die Anforderungen schrittweise zu steigern, damit das Pferd lernt, auch in schwierigen Situationen auf den Reiter zu hören. Der Reiter sollte neue Aufgaben stets nach diesem Prinzip an das Pferd stellen. Es ist dabei völlig normal, wenn der Vollblüter in der neuen Umgebung erst einmal nervös reagiert. Hier hilft es, gelassen und unbeirrt mit der Übung fortzufahren. Hat der Vollblüter aber grosse mühe zu folgen, sollte man einen Schritt zurück zu der Stelle zu gehen, an der es auf anhieb geklappt hat.

Es ist die Aufgabe des Reiters, seinem Pferd durch durchdachte Lernschritte, die für das Pferd fordernd, aber nicht überfordernd sind, für seine neue Aufgabe zu begeistern. Besonders wichtig ist es, den Vollblüter über positive Rückmeldungen zu bestätigen und so zusätzlich zum Mitdenken und zur Mitarbeit zu motivieren. Das Ziel der Arbeit sollte stets sein, den Vollblüter in seinem Selbstvertrauen zu stärken und ihn zu befähigen, die Anforderungen als Reitpferd mit Freude zu meistern.