Wer einen Galopper frisch von der Bahn kauft, muss sich bewusst sein, dass man ihm, ähnlicher einer Remonte, vieles von Grund auf neu beibringen muss. Im Gegensatz zu einer Remonte jedoch können Rennpferde schon einiges, nur nicht dass, was man von einem Reitpferd im Allgemeinen erwartet. Man muss ihnen also nicht nur neues beibringen, sondern auch vieles, was das Rennpferd bereits gelernt hat, umlernen. Ausserdem bietet der Trainingsalltag im Rennstall wenig Anreiz, sich auf spielerische Art in die Arbeit einzubringen. Häufig wirken Vollblüter am Anfang der Reitpferdeausbildung deshalb unbeteiligt. Dabei lernen Vollblüter gerne neues und je höher die Motivation ist, desto grösser der Erfolg der Ausbildung für Pferd und Reiter. Um auf diese Besonderheit in der Ausbildung eines Vollblüters eingehen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie Vollblüter lernen.
Wie Vollblüter lernen – Basis für erfolgreiches Ausbilden
Vollblüter lernen ständig, deshalb beginnt auch die Erziehung nicht erst auf dem Reitplatz, sondern bereits beim Anhalftern. Ob der Vollblüter „brav“ oder „frech“ ist, liegt nicht allein an seinem Charakter, sondern vielmehr daran, was und auch wie der Reiter ihm etwas beibringt und vor allem, wie hoch die Motivation des Pferdes ist, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Erziehung bedeutet deshalb, ein bestimmtes Verhalten, wie ruhiges Stehenbleiben am Anbindeplatz, für das Pferd reizvoll zu gestalten, aber auch langfristig konsequent Einzufordern.
Pferde lernen auf verschiedene Weise. Entscheidend dabei ist, ob sich aus Sicht des Pferdes ein Verhalten lohnt, das heisst, ob es ein Bedürfnis damit befriedigen kann. Je höher aus Sicht des Pferdes die Erfolgschancen sind, desto grösser die Motivation, das Verhalten künftig öfters zu zeigen.
Pferde können zum einen durch Gewöhnung lernen. Das heisst nichts anderes, als dass zum Beispiel ein Reiz, der im ersten Moment Erschrecken auslösen kann, durch häufige Wiederholung an Wirkung verliert, sofern das Pferd damit weder etwas positives noch etwas negatives verbindet.
Bei der Sensibilisierung wird dem Pferd beigebracht, auf einen Reiz eine schnelle Reaktion zu zeigen. Der Reiz muss dabei so stark sein, dass das Pferd diesem mittels unmittelbarer Reaktion versucht zu entgehen. Dabei muss das Pferd keine Schmerzen empfinden, den Reiz jedoch als unangenehm betrachten.
Bei der klassischen Konditionierung verknüpft das Pferd einen ursprünglich neutralen Reiz mit einer Bestimmten Bedeutung. Dabei wird der Reiz stets mit der gleichen Bedeutung bestätigt.
Bei der operanten Konditionierung lernt das Pferd, in dem es in einer neuen Situation verschiedene Lösungsstrategien ausprobiert und anhand der dadurch entstehenden negativen oder positiven Folgen entscheidet, ob sich das entsprechende Verhalten lohnt. Das Ergebnis ist dabei stark von der generellen Motivation des Pferdes für eine Bestimmte Handlung abhängig. Es braucht also einen Grund für sein handeln, der entweder für das Pferd positiv oder negativ ausfallen kann.
Der Ausbilder hat bei den verschiedenen Lernstrategien stets die Wahl, ob er das Pferd mittels negativer Konditionierung zu einem Verhalten zwingen oder aber durch eine in Aussicht gestellte Belohnung dazu motivieren will. Dafür gibt es vier Handlungsoptionen. Der Ausbilder kann etwas Angenehmes hinzufügen oder vorenthalten, oder aber etwas unangenehmes Hinzufügen respektive beenden. Mit „unangenehm“ ist dabei Druck in verschiedenen Formen gemeint und das unterlassen des Drucks wird (durch den Menschen) als die eigentliche Belohnung angesehen. Bei ausschliesslich negativ gestaltetem Training muss aufgrund der Gewöhnung der Druck stets erhöht werden.
Mit Strategie statt mit Druck
Wer schon einmal mit Vollblütern zutun hatte weiss, wie empfindlich diese Pferde auf Druck reagieren. Wird ausschliesslich auf Basis der negativen Konditionierung gearbeitet, bedeutet dies langfristig eine massive Verschlechterung in der Pferd-Mensch Beziehung und führt nicht selten zu sogenannten „Problempferden“. Für den Vollblüter bedeutet übermässiger Druck dauerstress, wodurch er selten resigniert, sondern viel eher versucht, sich der Situation durch Übersprunghandlungen zu entziehen. Der Vollblüter baut durch den entstandenen Stress nämlich deutlich schneller Spannung auf, die sich durch „explosives“ Verhalten rasch entlädt. Denn damit ein Pferd lauffreudig und schnell sein kann, muss es unter anderem über einen temperamentvollen Charakter verfügen. Temperament ist denn auch ein Zuchtziel des Vollblüters. Dass dieses Temperament auch mal überschäumen kann, liegt in der Natur dieser Pferde. Stimmen die Voraussetzungen, sollten Vollblüter aber spätestens nach der Eingewöhnungsphase ruhiger und ausgeglichener werden.
Steht das ehemalige Rennpferd längerfristig unter Dauerspannung und Explodiert bei jeder Gelegenheit, müssen die Gründe dafür ermittelt werden. Übersprunghandlungen resultieren immer aus einer Überforderung des Vollblüters heraus.
Nicht zu verwechseln sind Übersprunghandlungen mit gelegentlichen, situationsbezogenen „heftigen“ Reaktionen, tagesformabhängige Motivationstiefs oder Tests, die das Ziel haben, den Reiter in seiner Führungsposition zu überprüfen. Vorausgesetzt, der Vollblüter ist allgemein zufrieden und ausgeglichen.
Eine mögliche Ursache für Überreaktionen kann die üblicherweise benötigte Grundspannung des Reiters sein, der sich gewohnt ist, mit weniger sensiblen Pferden umzugehen. Vollblüter bemerken bereits kleinste Anspannungen im Körper des Reiters. Im Umgang mit Vollblütern benötigen Reiter daher eine sehr geringe Grundspannung. Es ist vielmehr ein Spiel zwischen kurzer Anspannung und sofortigem Loslassen. Ist die Grundanspannung des Reiters permanent zu hoch, versucht der Vollblüter sich der für ihn unangenehmen Situation zu entziehen. Dosierung und Dauer sind also entscheidend.
(Ursachen können ebenfalls in nicht artgerechter Haltung und falscher Fütterung liegen, aber auch Schmerzen wegen Krankheiten/Verletzungen oder unpassender Ausrüstung können dem Vollblüter das Leben schwer machen. Der Ausbilder sollte diese Punkte stets ausschliessen können, bevor er mit gezielten Übungen die Gelassenheit des Vollblüters fördern kann.)
Lernen in der Praxis
Man bringt einem Vollblüter etwas bei, in dem man mithilfe eines Impulses das Pferd auffordert, etwas zu tun und die richtige Reaktion bestätigt, in dem man etwas Positives hinzufügt, also z.B ein Leckerlie oder Stimmlob. Folgt eine falsche Reaktion, wird die Übung nochmals abgefragt (in neutraler Stimmung), ohne dabei das Pferd für die falsche Reaktion zu strafen. Man hält dem Pferd also das Lob so lange vor, bis es die richtige Reaktion zeigt. Bei ausschliesslich positiver Verstärkung wird gänzlich ohne Druck gearbeitet. Vollblüter neigen vor allem bei neuen Übungen zu Hektik, wenn man ihnen einen allzu grossen Spielraum an Lösungsvorschlägen überlässt. Ein möglichst enger Rahmen, bei dem der Vollblüter aufgrund klarer Hilfengebung nur eine richtige Lösung anbieten kann, ist für ihn stressfreier. Ist der Vollblüter erstmals mit dieser Arbeitsweise vertraut, kann man den Spielraum ruhig vergrössern.
Um übermässigen Druck zu vermeiden, bietet sich die Hilfengebung mittels Impulsen an (siehe Beitrag Hilfengebung). Diese werden immer nach dem Prinzip kleinstmöglicher Druck angewendet. Braucht es eine deutlichere Hilfe, wird beim nächstens Mal sofort wieder mit der kleinsten möglichen Hilfe angefragt. Damit feines Reiten klappt, muss das Umsetzen der Hilfen konsequent eingefordert werden. Das Unterteilen der Lektionen in Einzelschritte kann dem Vollblüter helfen, das Geforderte besser zu verstehen und umzusetzen.
Lernklima
Damit das Pferd stets motiviert und kooperativ an die neuen Aufgaben herangeht, ist es wichtig, für ein entspanntes und positives Lernklima zu sorgen. Am Anfang ist eine möglichst reizarme Umgebung für die ersten Ausbildungsschritte auszusuchen, damit sich der Vollblüter ganz auf die an ihn gestellte Aufgaben konzentrieren kann. Am besten eignet sich dafür die Halle oder Reitplatz zu Randzeiten, wenn wenig andere Reiter diese nutzen. Klappt eine Übung, kann diese in einer Umgebung abgefragt werden, die etwas mehr Ablenkung bietet, z.B im Wald oder wenn die Halle voll belegt ist. Die Steigerung ist die reizstarke Umgebung, wie z.B. Straßenverkehr oder andere belebte Plätze. Es ist wichtig, die Anforderungen schrittweise zu steigern, damit das Pferd lernt, auch in schwierigen Situationen auf den Reiter zu hören. Der Reiter sollte neue Aufgaben stets nach diesem Prinzip an das Pferd stellen. Es ist dabei völlig normal, wenn der Vollblüter in der neuen Umgebung erst einmal nervös reagiert. Hier hilft es, gelassen und unbeirrt mit der Übung fortzufahren. Hat der Vollblüter aber grosse mühe zu folgen, sollte man einen Schritt zurück zu der Stelle zu gehen, an der es auf anhieb geklappt hat.
Es ist die Aufgabe des Reiters, seinem Pferd durch durchdachte Lernschritte, die für das Pferd fordernd, aber nicht überfordernd sind, für seine neue Aufgabe zu begeistern. Besonders wichtig ist es, den Vollblüter über positive Rückmeldungen zu bestätigen und so zusätzlich zum Mitdenken und zur Mitarbeit zu motivieren. Das Ziel der Arbeit sollte stets sein, den Vollblüter in seinem Selbstvertrauen zu stärken und ihn zu befähigen, die Anforderungen als Reitpferd mit Freude zu meistern.