Mittwoch, 24. Juni 2015

Haltung - je artgerechter desto besser

Rennpferde kommen bereits früh von der Fohlenweide in den Rennstall. Die häufigste Haltungsform in den Ställen sind nach wie vor Innenboxen, Auslaufboxen sind aus Platzgründen eher selten. Ein Umdenken findet bezüglich Weide- respektive Paddock-Gang statt, zum Beispiel zur Erholung nach einem Rennen. Das Schweizerische Tierschutzgesetz schreibt zudem seit 2014 auch für Rennpferde eine Mindestauslaufzeit von zwei Mal pro Woche vor, in der sich das Pferd auf einer grösseren Fläche frei bewegen kann. Aufgrund der vermeintlichen Verletzungsgefahr werden Rennpferde aber selten in Gruppen, wenn dann höchstens zu zweit, raus gelassen.
Damit aus einem Rennpferd nach seiner Karriere ein ausgeglichenes Freizeitpferd wird, sind nebst artgerechter Fütterung und abwechslungsreichem Training auch die Haltungsbedingungen ein entscheidender Faktor. Vollblüter bilden bezüglich ihren natürlichen Bedürfnissen, wie ausreichend freie Bewegung, Pflege von Sozialkontakten und die Sicherheit im Herdenverband, keine Ausnahme zu anderen Pferderassen. Im Gegenteil hat eine möglichst naturnahe Haltung einen äusserst positiven Effekt auf Psyche und Gesundheit. Sowohl im Laufstall als auch bei täglichem Weidegang in der Gruppe erweisen sich Vollblüter als sehr soziale Herdenpartner. Voraussetzung dafür ist eine schonende Angewöhnung, damit die Pferde nicht überfordert werden. Frisch aus dem Rennstall sind sie meist rangtief und müssen sich erst wider in der Herde zurechtfinden, schliesslich liegt die Zeit auf der Fohlenweide bereits ein paar Jahre zurück. Es empfiehlt sich daher, den Neuling zu Beginn erstmals stundenweise mit einem routinierten, souveränen Pferd auf die Weide zu lassen. Dass dabei der Vollblüter seine neu gewonnene Freiheit mit einigen Runden im Galopp auskostet, liegt in seiner Natur. Daher sollte das Pferd vor den ersten Weidegängen bereits aufgewärmt sein. Klappt dieser erste Schritt und ist das ehemalige Rennpferd bei den Weideaufenthalten mehrheitlich entspannt am Grasen, kann die restliche Herde dazu gelassen werden. Da die Integration in die Herde, das Herstellen einer neuen Rangordnung und den damit verbundenen Lernprozess für das Rennpferd anstrengend ist, sollte die Arbeit mit dem Pferd vorläufig in den Hintergrund rücken. Auch ist es zu empfehlen, das Pferd während den Ruhezeiten mit ausreichend Heu zu versorgen (Mehr dazu folgt im Beitrag „Fütterung“). Stresssituationen sind während dieser Zeit kaum zu vermeiden, worauf Vollblüter gerne mal mit Gewichtsverlust reagieren. Diesen holen sie aber wieder auf, sobald sie gelernt haben, sich entspannt in der Herde zu bewegen.
Rennpferde können auch, ebenso gut wie andere Pferderassen, in Offenställen gehalten werden.
Voraussetzung dafür ist ein grosszügig konzipierter Laufstall, der genügend Ausweichmöglichkeiten bietet. Die behutsame Eingewöhnung über mehrwöchige Integrationsschritte ist ebenfalls unerlässlich, auch wenn das Rennpferd bereits mit der Herde auf die Weide geht. Hat das Pferd nach dem gemeinsamen Weidegang die Möglichkeit, sich in der Einzelbox zu erholen, ist dies im Laufstall nicht mehr möglich. Der Neuling muss also hier zusätzlich lernen, sich in einer Herde bei geringeren Platzverhältnissen zu bewegen und sich zudem beim gemeinsamen Fressen, beim Ruhen oder beim Spielen zurecht zu finden. Durch die lange zurückliegende Fohlenweidezeit haben Rennpferde oft mühe, die Körpersprache der anderen Herdenmitglieder richtig zu lesen und einzuschätzen. So kommt es vor, dass sie aufgrund ihres Temperaments zu Beginn der Eingliederung gerne überreagieren und durch ihre Wendigkeit zu raschen Manövern neigen. Hektik bei der Eingewöhnung ist kaum vermeiden und davon ebenfalls die eine oder andere Blessur. Eine Integrationsbox mit Kontaktmöglichkeit aber auch Rückzug vor den künftigen Herdenmitgliedern erleichtert dem Pferd den Einstieg. Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, ist es zudem Sinnvoll, das neue Pferd erst nur mit dem Weidebegleitpferd in den Stalltrakt zu lassen. So hat es die Chance, diesen zu erkunden und bei möglichen Rangeleien die Fluchtwege bereits zu kennen. Vorsicht ist geboten, wenn der Neuling anfängt panisch zu reagieren und kopflos wird, wenn die restliche Herde dazugestellt wird. Hier sollte umgehend eingegriffen werden und die Eingewöhnungsphase ein paar Schritte zurück gestellt werden. In dieser Situation ist sowohl vom Pferdebesitzer wie auch Stallbetreiber Fingerspitzengefühl gefragt. Schliesslich soll die Eingliederung beim Pferd einen positiven Eindruck hinterlassen. Zudem ist auch das Wohlbefinden der anderen Pferde (und Besitzer) zu respektieren. Vorgängig sollte deshalb mit dem Stallbetreiber über die Vergangenheit des Rennpferdes und dessen Charaktereigenschaften gesprochen und gemeinsam einen abgestimmten Plan für die Eingliederung zusammengestellt werden.
Zu beachten ist dabei, dass es Bei Offenstallpferden normalerweise üblich ist, zumindest hinten den
Beschlag abzunehmen. Für die Integrationszeit ist dies bei Vollblütern frisch ab der Rennbahn nicht zu empfehlen. Sie haben in der Regel dünne Sohlen und breite, flache Hufe. Die Umstellung auf Barhuf kann daher für das Pferd zu beginn unangenehm sein, wodurch sie sich schlechter bewegen und somit Rangeleien nicht schnell genug ausweichen können. Soll das Rennpferd nach seiner Karriere auf Barhuf umgestellt werden, empfiehlt es sich, dies später in Angriff zu nehmen (Mehr zum Thema Barhuf folgt). Ein weiterer Hinweis, um für das uneingeschränkte Wohlbefinden an der frischen Luft zu sorgen, ist das Eindecken. Vollblüter haben auch im Winter vergleichsweise wenig Fell, wobei dieses mit den Jahren immer dichter werden kann. Auf Nässe und Kälte reagieren sie dennoch empfindlicher, wovon Erkältungen oder wetterbedingte Verspannungen die Folge sein können. Es empfiehlt sich daher, das Pferd jeweils einzudecken wenn der Winter naht.
Zu guter Letzt sollte der Plan vor allem eines Beinhalten: Viel Zeit. Vom Einzug bis zum entspannten Herdenalltag können Monate vergehen. Deshalb sollte auch nicht zu früh aufgegeben werden. In der Regel gewöhnen sich ehemalige Rennpferde früher oder später wieder an die natürlichste aller Haltungsformen. Mehr noch, haben sie sich erst einmal im Laufstall eingelebt, trägt dieser einen wesentlichen Anteil zum Wohlbefinden des Pferdes bei. Das Bedürfnis nach Bewegung und Beschäftigung wird bereits ohne Zutun des Reiters zu einem Grossteil abgedeckt. Zudem sind Pferde in artgerechter Haltung erwiesenermassen gesünder und leistungsfähiger als Boxenpferde. Sie arbeiten besser mit, sind zufriedener und ausgeglichener. Auch dem Reiter kommen diese Faktoren, vor allem am Anfang der Ausbildung, sehr entgegen.
Sollte es, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich sein, das Pferd in einen Laufstall unterzubringen, so ist eine großzügige Auslaufbox mit täglichem, mehrstündigem Weidegang in der Gruppe allen anderen Haltungsformen vorzuziehen. Denn auch bei der Haltung gilt, Rennpferde sind auch nur Pferde.

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