Samstag, 7. Dezember 2013

Geschichte der klassischen Dressur



Die klassische Reitkunst, unter der man heute noch barockes Reiten versteht, erlebte ab Mitte des letzten Jahrtausends ihren Höhepunkt. Die grossen Meister dieser Zeit vertraten eine Meinung, die bis heute nichts an ihrer Gültigkeit eingebüßt hat. Ihre penible Genauigkeit und bis ins kleinste Detail perfektionierte Ausbildungskala hat den modernen Pferdesport, in dem rascher Erfolg und Geld den Ton angeben, leider nur teilweise überlebt. Die Kunst ist dem Streben nach schnellem Gewinn gewichen. Seit geraumer Zeit aber erlebt die „alte“ klassische Dressur auf Grund ihrer durchdachten, schonenden Ausbildung eine Renaissance. Um Sinn und Zweck der von der hohen Schule verlangten Lektionen zu verstehen, muss man in der Geschichte des Pferdes und der des Menschen tief graben. Hatten Pferde einst den Status eines Arbeitstieres, so entwickelte sich, vor allem dank der Kriegskunst, eine Reitlehre, die auf nichts anderes abzielte, als die Erhabenheit des Pferdes und dessen Reiter zu unterstreichen. Das Pferd expandierte zum Statussymbol.
Diente das Pferd in der Ära der Steinzeit lediglich als Fleischlieferant, so entdeckte man in der Gegend des Kaspischen Meeres um 3000 v.Chr. die außerordentliche Zug- und Lastkraft dieser Tiere. Lange Zeit wurde das Pferd ausschließlich als Arbeitstier genutzt, bis sich mit der Erfindung des Speichenrades und dem leichten Streitwagen die Situation grundlegend änderte. Die vorwiegend im Norden genutzte, neue Art der Kriegsführung erwies sich als äußerst erfolgreich, so dass auch andere Völker nachzogen und das Pferd den Weg von Nordafrika über Griechenland bis nach Europa fand. Zur Zeit der Antike wich der Streitwagen zunehmend einer breiten Kavallerie, da diese in der Kriegskunst dank ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit weitaus effektiver waren. Der Einzug der berittenen Soldaten in Griechenland brachte auch den ersten Meister der Reitkunst hervor. Xenophon war der Erste, der eine Reitlehre verfasste, die den korrekten Umgang mit dem Pferd beschreibt, wie man es noch heute pflegt. Sie war in erster Linie eine Kritik an der überaus gewaltsamen Ausbildung der Pferde, wie sie zu dieser Zeit üblich war. Diese Richtlinie beschreibt als erstes Werk die Mentalität des Pferdes und gibt Anleitung zu korrekter Gymnastizierung und somit zur Gesunderhaltung von Körper und Psyche. Xenophons Lehren geniessen bis heute großes Ansehen in Reiterkreisen.
Im Mittelalter wandelte sich die Kriegsstrategie zunehmend zum gewaltsamen Niedermähen gegnerischer Truppen. Ausgestattet mit Rüstung für Pferd und Reiter, die teilweise bis zu 170 Kilogramm wog und daher von schwerfälligen Pferden getragen werden musste, rannten die Ritter auf gerader Linie und mit Lanzen bewaffnet aufeinander los, um sich gegenseitig aus dem Sattel zu hieven. Diese Kampftechnik verlangte den Pferden nur wenig Ausbildung ab. Mit der Erfindung der Handfeuerwaffen endete die Ära der schweren Schlachtrösser und machte einem agileren Reiterkampf Platz. Um sich auf dem Feld behaupten zu können, brauchte man Pferde, die in der Lage waren, schnell und wendig zu reagieren. Nebst diesem Zweck musste das Pferd auch seinen Reiter durch vornehme Haltung und hohe, elegante Gänge wirkungsvoll repräsentieren. Es wurden Lektionen wie die Pirouette, Capriole, Piaffe oder Pesade gefordert. Dies war die Geburtsstunde der klassischen Reitkunst.
Im 15. Jahrhundert wurde in Neapel, das damals noch zu Spanien gehörte, die ersten Reitakademien ins Leben gerufen. Vor allem ein neapolitanischer Edelmann namens Frederico Grisone machte von sich reden. Mit seinem „Ordini di cavlcare“ erlangte er grossen Ruhm. Seine Schule wurde fast vom gesamten Hochadel Europas besucht. Vor allem seine Methodik der schnellen Wendungen und gewaltigen Luftsprünge hinterliess nachhaltigen Eindruck. Seine Theorie der Erziehung und Schulung der Pferde gründete aber aus heutiger Sicht auf dem Einsatz der Gewalt und Unterdrückung. Die Meinung, Pferde nur durch ausgiebiges Schlagen und mit dem Einsatz von scharfen Gebissen und Sporen zum Gehorsam zu zwingen, war ohnehin weit verbreitet. Dennoch brachte Grisone nicht nur Schlechtes zustande. So ist vor allem einer seiner Schüler erwähnenswert. Gianbattista Pignatelli, der zu einem späteren Zeitpunkt selber eine Reitschule unterhielt, gilt als der Erfinder der Pignatelle-Kandare, einen Vorläufer der heutigen Kandare, und des doppelt gebrochenen Gebisses. Natürlich war von der Kandare Pignatellis zu dem heute gebräuchlichen Stangengebiss noch ein weiter Weg, da auch er ein Verfechter der Gewalterziehung war. Dies änderte sich mit Antoine de Pluvinel, einem Schüler Pignatellis, der den neapolitanischen Methoden den Rücken kehrte und Lob und Belohnung statt Strafe als Erziehungsmittel einsetzte. Er setzte sich intensiv mit der Anatomie und der Psyche des Pferdes auseinander und ließ sein Wissen in die Ausbildung einfliessen. Pluvinel war bestrebt, die freiwillige Mitarbeit und mentale Unbefangenheit des Pferdes zu erhalten. Nach fast 2000 Jahren bekamen Xenophons Lehren wieder Gewicht.
Francois Robichon de la Guérnière gilt als der erste und grösste Meister aller Zeiten in der Entwicklung der Reitkunst. Er wird als der Wegbereiter der modernen Dressur bezeichnet, weil er sich ausschliesslich der Kunst des Reitens gewidmet hat, ohne dabei auf die Zweckmässigkeit Rücksicht nehmen zu müssen. Seine Prinzipien haben bis heute ihre Gültigkeit bewahrt und werden an den Hofreitschulen bis in die Gegenwart gelehrt. Guérnière, ein Schüler Pluvinels, leitete von 1730 bis zu seinem Tode 1751 den Schulstall König Ludwigs XV. In seinem 1733 erschienen Buch „Ecole de Cavalerie“ legte er die Ausbildungsmethoden dar, die den Reitsport revolutionieren sollten. Seine für damalige Verhältnisse neuzeitlichen Auffassungen betrafen in erster Linie den Umgang mit dem Pferd und ein Artgerechter, individuell abgestimmter Ausbildungsweg. Die wichtigsten Grundsätze der klassischen Reitkunst waren in erster Linie das Erreichen der freiwilligen Mitarbeit des Pferdes ohne jegliche Gewaltanwendung. Dazu kommt eine Schulung des Bewegungsapparates, der das Pferd in die Lage versetzt, seinen Reiter ein Leben lang zu tragen, ohne dabei Schaden zu nehmen. Den Einsatz von Hilfszügeln lehnte Guérnière ab. Hingegen waren Gerte, Sporen und eine dem Ausbildungstand des Pferdes angepasstes Gebiss, Ziel war das einhändige Reiten auf blanker Kandare, für die Ausbildung angemessen. Diese Hilfen wurden aber stets mit grösster Vorsicht und Überlegung angewandt. Auch wurde der Reiter stets dazu angehalten, über sein Verhalten dem Tier gegenüber nachzudenken und an sich selbst zu arbeiten. Allfällige Fehler wurden zuerst beim Reiter gesucht und nicht beim Pferd.
Der Weg der Ausbildung beginnt mit der Remonteschulung. Als Remonte wird ein rohes Pferd bezeichnet. Die wichtigsten Lernziele in der beginnenden Ausbildung beinhalten die Korrektur der natürlichen Schiefe und das daraus resultierende Geraderichten. Eine unumgängliche Arbeit, um das Pferd später auf die korrekte Gewichtsverteilung auf die Hinterhand zu bringen und somit die korrekte Ausführung der Lektionen der Hohen Schule zu ermöglichen. Mit fortschreitender Ausbildung beginnt die Campagneschule. Diese widmet sich vor allem der Seitengänge und einer beginnender Versammlung. Seitengänge haben vor allem das Ziel, die Durchlässigkeit und die Trittsicherheit zu fördern, aber auch das Pferd vermehrt untertreten zu lassen und somit die Hinterhand zu stärken. Mit dem Erreichen der Lernziele der Campagneschule wird der Weg zur Hohen Schule frei. Die Hohe Schule entwickelt aus den natürlichen Gangarten Schritt, Trab und Galopp, Renngalopp und Sprung Lektionen, die mit hoher Versammlung ausgeführt, Leichtigkeit, Erhabenheit und Losgelassenheit ausdrücken. Die Hohe Schule ist der höchste Grad in der Ausbildung eines Dressurpferdes in der klassischen Reitkunst. Die Hohe Schule unterteilt die Lektionen auf der Erde und über der Erde. Erstere sind Passage und Piaffe. Die Schule über der Erde setzt sich zum Beispiel aus Levade, Mezair, Terre à Terre etc. zusammen. Um diese teils spektakulären Sprünge und Wendungen sauber auszuführen, ist eine solide Gymnastizierung von Grund auf notwendig. Diese ermöglichen dem Pferd eine Position, in der es eine abgesenkte Kruppe und Hankenbeugung, eine offene Brust und eine hohe Aufrichtung hat. Nur so ist die gesamte Erhabenheit der Lektion zu erreichen.

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